Robert Kappel - Hehre Hohlbausteine: Wie die Koalition die Entwicklungszusammenarbeit runterfährt

Veröffentlicht am 16. September 2025 um 13:19

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Trifft ein Wolf im Wald einen anderen Wolf, sagt er: „Oh ein Wolf“. Trifft ein Mensch einen anderen Menschen dort, sagt er: „Oh, ein Mörder!“ Man weiß im Moment nicht, ob in der Entwicklungspolitik sich Menschen oder Wölfe treffen. Vielleicht agieren auch Beschöniger und Abwiegler.

Davon gibt es viele im Moment: In der Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) wirft man sich geschickt in eine unsichtbare Ecke. Möglichst nicht auffallen. Damit es nicht so schlimm wie befürchtet kommt. Allenthalben ist die Devise „Wegtauchen“.

Dann haben wir die Trostakteure, vor allem eine Mischung aus Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Wenn die Entwicklungshilfe verringert wird, dann sterben Millionen von Menschen, dann brechen Gesundheitssysteme zusammen, dann kommt das ganz große Chaos. Noch nie waren die Trostspenderakteure um große Worte verlegen. So als ob Entwicklungskooperation die Welt retten könne. Kann sie nicht, hat sie nie gekonnt. Nur ein wenig mehr als ein Hauch stimmt davon. Durch Entwicklungszusammenarbeit (EZ) wurde die weltweite Armut nicht reduziert. Dass Menschen mehr Bildung genossen haben, dass Flüsse und Wälder gerettet wurden, die Slums durch EZ verschwanden, dass die armen Länder eine bessere Governance Performanz aufweisen, dass die Menschenrechte geschützt wurden – alles Phantasiegebilde der eigenen Imagepflege. Wo leben die Akteure in der veränderten Welt denn? Bloß überleben, bloß Gelder aus dem BMZ kassieren und die vermeintlichen Wohltaten als wirkliche Errungenschaft der EZ preisen.

Kaum etwas Substanzielles. Denn die globale Armut wurde durch Chinas Aufstieg reduziert, die Armut in einzelnen Kontinenten dadurch, dass Industrien sich entwickelten, die Landwirtschaft modernisiert wurde, dass schlicht und einfach Jobs durch industrielle und agrarische Investitionen entstanden sind. Und diese vor allem durch lokale Investoren, denn ausländische Investoren schaffen vielleicht Billigjobs in der Textilindustrie (Sweatshops), in sehr hochwertigen Wertschöpfungsketten (WSK), bspw. in der Automobilindustrie in Marokko, Mexiko oder Südafrika, in agrarischen WSK, in denen Blumen, Gemüse oder Wein produziert wird. So haben deutsche Unternehmen in afrikanischen Ländern je eine Million Investitionssumme gerade 4,6 neue Jobs geschaffen, insgesamt ca 2500 (2021).

Oder in Industrien ohne Schornsteine, wie bspw. Tourismus, Medien, IKT-Bereiche. Nicht durch die EZ. EZ ist gerade bei diesen Investitionen draußen vor, fordert aber immerzu, dass das alles aber auch nachhaltig sein muss. Ohne EZ keine Nachhaltigkeit, was für eine Anmaßung. So gerieren sich Teile der EZ eher als Gutmenschen, zugleich sind sie auch Protagonisten einer paternalistischen Sichtweise, wonach die Entwicklungsländer nichts allein hinbekommen. Daher brauchen sie uns, die EZ, die mit den hehren Ansprüchen.

Dann haben wir die Abgeordneten der Deutschen Bundestages, die sich für die EZ engagieren und im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit (AWZ) agieren. Von dort: Stillschweigen. Nichts kommt, nichts ist zu hören. Weder von den Regierungsparteien noch von der Opposition. Es mag daran liegen, dass wir das nicht mitbekommen, aber dann hat es auch damit zu tun, dass sie nicht in den Diskurs treten. In der Neuaufstellung der Debatte um die EZ sind sie nicht existent. Ein Armutszeugnis. Ja, man ist gegen die Reduzierung des Etats, man ist für die EZ. Aber  gibt es Ideen für die Neuaufstellung angesichts der Kürzungen des Etats? Leider eine Leerstelle.

Und auch unsere Forschungsinstitute und Think Tanks, die an der Finanzierung des Bundeshaushalts hängen, halten still. Hier gibt es gelegentlich neue  Ideen, gute Informationen, interessante Tagungen. Aber, so manch eine Publikation ist so im traditionell-engen Sinne EZ-verhaftet, dass man gar nicht mehr aus dem Loch des Immerwährenden herauskommt. Man sieht schon, dass sich etwas ändern muss. Aber, Pfadabhängigkeit. Wer seine Lebensarbeitszeit in Institutionen der EZ verbringt, kommt aus dem Milieu einfach nicht raus. Verständlich einerseits, man möchte seinen Job ja auch behalten. Doch von den Institutionen hätte man sich doch mehr Nachdenken und Denkanstöße gewünscht. Vielleicht werden unsere Denkakteure vom BMZ oder auch vom Kanzleramt ausgebremst. Bloß keine Debatte anzetteln, bloß kein Aufrühren neuer Ideen, könnte ja die bisherige EZ in Misskredit bringen. Dass Wissenschaft kritisch sein muss und nicht zum symbolträchtigen Helfer der Exekutive wird, das sollten die Forscher nicht vergessen. Sonst könnten sie lieber gleich ins Ministerium wechseln. Also Selbstkritik und Kritik ist nicht gerade die Stärke der deutschen EZ-Forscher. Und so landen sie in der Ecke des allzu Willfährigen, jedenfalls manchmal. Schere im Kopf, sowas kann man doch nicht sagen. Wir sind gerne bereit, ein paar Beispiele auf den Tisch zu legen.

Manch eine Forschungsinstitution hat sogar Studien publiziert, wonach jeder ausgegebene Groschen auch der deutschen Wirtschaft dienen soll. Nun ja, wenn dem so wäre, wäre es ja schön für die Wirtschaft. Aber dann braucht man doch nicht den Umweg über den EZ-Etat, dann könnte man doch gleich das Geld für die Technologieforschung (dort haben wir ja großen Nachholbedarf) oder für die Instrumente der Außenwirtschaft ausgeben. Das würde allemal mehr bringen als der Umweg über unsere ach so karitative EZ.

Im Übrigen. Wir sollten nicht vergessen, dass EZ selbst bei großmöglichster Sympathie, nur von geringer Bedeutung für die Entwicklungsländer ist. Abgesehen von den Krisen- und Notstandsländer, ist EZ kaum mehr als ein Tröpfchen auf dem heißen Stein. Beispiel Niger, dem armen Land im Sahel. Entwicklungsgelder hatten in Niger einen Anteil von 14% am GNI (2021), wohl auch eine Folge des Zuflusses von Finanzmitteln zur Eindämmung der Fluchtrouten. Nun sind die Russen da. Ob die EZ leisten? Wahrscheinlich eher Militärhilfe und Investitionen zur Ausbeutung des Urans. In anderen Ländern spielt die EZ für die Etats oft nur noch eine geringe Rolle, und makro-ökonomisch eh nicht. Für die weiter entwickelten Länder wie Senegal, Kenia oder Tunesien sind die EZ-Beiträge gering. Die Mär wonach EZ sehr bedeutsam für die Entwicklungsländer sei, hat mit der Realität nicht viel zu tun.

Nun sollen wir (Deutschland) alles gemeinsam mit ihnen (den Entwicklungsländern) anpacken, und sogar im Vorwege sollen das BMZ oder die GIZ zusammen mit der Wirtschaft (welcher eigentlich, und was tun sie damit?) abstimmen, was wir den Ländern anbieten. Immer noch der alte Paternalismus. Wollen wir uns weiterhin lächerlich machen? Hat man in den Institutionen noch nicht begriffen, dass die Länder des Südens ihre eigene Agenda haben, über die erforderlichen Fachkräfte verfügen und mit ihren Ressourcen sparsam umgehen müssen, bspw. um aus Steuermitteln ihr Bildungs- und Gesundheitssystem aufzustellen, oder die Landwirtschaft zu fördern und die Industrien voranzubringen. Das alles tun sie, wie sie es wollen, wie sie es politisch entschieden haben, ob es uns gefällt oder nicht. Ganz self-reliant. Dazu brauchen sie die hehren Gaben aus Berlin, Bonn und Eschborn nicht. Sie benötigen auch keine EZ-Expertise, sondern Technologieaustausch, Investitionen, die die Entwicklung voranbringen, sie wollen gleichberechtigt agieren, Hochschulkooperationen, Forschung, und auch im Klimathema wollen sie nicht unsere Expertise, diese haben sie selbst. Sollen doch die USA, China, Europa und andere Klimavernichter ihre Hausaufgaben zu Hause machen und nicht mit milden Gaben versuchen, von ihrer Verantwortung abzulenken.

Manch eine Regierung im Globalen Süden ist allerdings gerne Empfänger der EZ-Gaben. Oft sind es die korrupten und machthungrigen neo-patrimonialen Regime, die sich gerne der lokalen, wie externen Ressourcen bedienen. Ja, auch diese haben wir gerne bedient und die Augen zugemacht (bspw. Ruanda, Äthiopien, Jemen, Bolivien – die Liste ist lang).

Am bedauernswertesten ist das BMZ –  immer mehr an den Rand gedrängt. Jenes Kleinministerium mit den höchsten moralischen Ansprüchen, geringer Effizienz und niedriger Bereitschaft zur Selbstreflektion. Da werden große Töne geschwungen (neue Nord-Süd-Kommission), da lobt man sich selbst in den Himmel. Die neue Ministerin, Reem Alabali Radovan, preist beständig an, wie großartig das BMZ arbeitet, und was es alles zur Weltrettung tut (Klima, Armut, Governance, Kooperation mit dem Globalen Süden). Doch überall nur die hehren Hohlbausteine und Worthülsen. So viel Realitätsverlust. Bspw. würde sie mit dem BMZ gern in die Lücke gehen, die die USA durch die Kürzungen bei USAID gerissen hat. Wie denn bloß? Noch offensichtlicher: Die kaum sichtbaren Impulse für eine Neuausrichtung. Kaum Ideen, trotz der vielen herausragenden Mitarbeiter im BMZ, die sich alle Mühe geben, nach neuen Wegen zu suchen. Aber Fehlanzeige, nicht mal Diskurse. Die Hoffnung schwindet zuletzt, und vielleicht schafft es die Ministerin doch noch, neuen Schwung zu bringen, indem sie die zentralen Herausforderungen in den Mittelpunkt einer zukunftsfähigen EZ- Agenda stellt. Von einer Ministerin sind deutliche Positionierungen zu erwarten, vor allem in folgenden Kernthemen der EZ und nicht nur nationale Interessenspolitik: die globalen Nachhaltigkeitsziele (Kampf gegen Armut, Hunger und Ungleichheit) und vor allem Maßnahmen zur beschäftigungswirksamen ökonomischen Transformation. Theo Rauch schreibt in einem klaren Plädoyer (2025): „Ohne diese Herausforderung mittels einer beschäftigungswirksamen Wirtschaftsförderung anzupacken, wird es weder gelingen, unser Eigeninteresse an einer Reduzierung der Migrationsursachen, Schaffung stabiler und sicherer gesellschaftlicher Verhältnisse, Friedenssicherung und Umwelterhaltung zu realisieren. Noch wird es möglich sein, unseren solidarischen Werten, unserem Streben nach einer Welt ohne Hunger und extreme Armut, erfolgreich nachzukommen.“[1]

Die Vorgängerin Svenja Schulze, die das BMZ in den Koalitionsverhandlungen retten konnte, und Gerd Müller luden immer wieder zu Debatten ein, waren wirkmächtig. Ihr ehrenwerter Aktivismus hatte auch immer  zum Ziel, die Eigenständigkeit des BMZ zu sichern. Gerd Müller mit Wirtschaftskooperation, Svenja Schulze mehr mit Governance, Sicherheit im Sahel oder feministischer Politik. Nun aber besonderer Leerstand. Schulze hätte vielleicht das Ministerium auch in die Zukunft retten können. Aber vielleicht war das auch mehr Hoffnung als Wirklichkeit, aber immerhin. Sie lebte für die Idee, – allerdings ohne die GIZ zu reformieren (die es von Innen nicht kann), ohne die NGOs aufn Pott zu setzen, damit diese sich endlich mit vorwärtsweisenden Anstößen einbringen, und ohne die Wissenschaftler aufzufordern, nach vorne zu denken und neue Ideen zu schmieden.

Es könnte sein, dass die Ministerin Reem Alabali Radovan die EZ vollends in den Bach führt, also zur Auflösung beiträgt. Mit einer unerfahrenen Ministerin lässt sich das leichter bewerkstelligen. Vielleicht war das sogar ein Hintergedanke bei der Besetzung durch Vizekanzler Klingbeil und Kanzler Merz, die nicht gerade als EZ-Ideengeber bekannt wurden. Also, auf auf ins Auswärtige Amt, wo vom Konzept der EZ (Hilfe zur Selbsthilfe) nichts mehr bleibt, sondern Einbindung der EZ ins rein geostrategische und geo-ökonomische Agieren Deutschlands. Dass dabei die Wirtschaftskooperation mit der EZ unter die Räder kommt: So what! Ist eh nicht mehr zu retten.

Fazit: Durch unsere EZ kommen die Entwicklungsländer nicht weiter. Sie schafft falsche Anreize und täuscht vor, Gutes zu tun. Das mögen ein paar Profis in den Institutionen wirklich glauben, aber wir sind nicht so sicher, dass sie richtig liegen. Wohl ist nicht alles, was aus der EZ kommt, „tödliche Hilfe“ (so Brigitte Erler, ehemalige Referentin im BMZ, im Jahr 1985), aber ob und wieviel sie nützt, sollte genauer analysiert werden.

So treffen die Wölfe auf die Wölfe und  schonen sich. Bloß nichts anrühren, bloß nichts aufwühlen, bloß keinen Staub aufwirbeln. Einfach nur: „Ah gut“. Und die anderen, die haben nur das Ende im Kopf. Auflösen ohne Debatte, bloß weg damit. „Ah ein Mörder“.

Dabei hatte die EZ früher mal eine Agenda, Hilfe zur Selbsthilfe und mehr „Checks and Balances.“ Heute mehr Anpassung, Schere im Kopf und bloß nicht auffallen, könnte ja Gefahr für den Fluss der Gelder und Jobs bedeuten. Vergessen wir nicht, was uns ein ehemaliger Staatssekretär ins Buch schrieb: „Bloß keine unrealistischen Ziele formulieren“ (so Volkmar Köhler im Jahr 2002). Wie wahr. Ein anderer: Endlich die Weltneuvermessung wahrnehmen und anerkennen, dass die Länder des Südens ihre eigene Agenda haben (so Ex-Bundespräsident Horst Köhler im Jahr 2024). Wie wahr. Genau darum geht es.

Was helfen könnte: Realitätschecks und ein wenig Demut. Warum fällt das so schwer? Kriegen wir das nicht hin und machen wir so weiter, wird auch Deutschlands Image als EZ-Soft-Power erodieren. Trotzen wir den Gesundbetern, trotzen wir den Wolkenkuckucksheim-Akteuren und den Sand-in-den Kopf-Steckern. Es wäre gut, sich mal an die eigene Nase zu fassen, und um Lösungen zu ringen, die den veränderten Gegebenheiten gerecht werden. Wir wollen doch nicht abtauchen, sondern mitgestalten, wofür es neuer Ideen, offener Debatten, fokussierter Konzepte (angesichts der Mittelkürzungen) und Women/Menpower bedarf.